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Beiträge zur Geschichte  









Wolfgang Bernhagen

Stalin - ein Freund Hitlers?

Stalin und Hitler sind sich persönlich nie begegnet. Es besteht jedoch Veranlassung anzunehmen, daß Stalin Hitler gegenüber Achtung, Sympathie, möglicherweise sogar Freundschaft empfand. Anders jedenfalls kann man die folgende Äußerung Valentin Bereshkows auf einer round-table-Diskussion nicht verstehen. Der Dolmetscher Stalins sagte nämlich: "Meiner Meinung nach spielte auch die Tatsache eine Rolle, daß, obwohl sich Stalin und Hitler nie trafen, zwischen ihnen eine persönliche Beziehung bestand. Als in Deutschland die Nacht der langen Messer' stattfand, fragte Stalin auf der ersten Sitzung des Politbüros: 'Haben Sie gehört, was in Deutschland passiert ist? Hitler, das ist ein toller Bursche! So muß man mit politischen Gegnern umgehen.' Darüber berichtete mir Anastas Iwanowitsch Mikojan, der an dieser Sitzung teilnahm." (Bühl 1989, S.40).

Da Bereshkow diese Äußerung aus dem Gedächtnis zitiert, mögen Zweifel an der wörtlichen Äußerung angebracht sein - nicht aber am Inhalt des Gesagten, denn es gibt weitere Indizien, die auf Stalins weitgehende Sympathie für Hitler hindeuten. Schon 1931 faßte die Kommunistische Partei Deutschlands auf Druck von Stalin und Molotow den Beschluß, sich an dem von den Nationalsozialisten initiierten Volksentscheid gegen die sozialdemokratische Regierung in Preußen zu beteiligen. (Die Komintern und Stalin. Sowjetische Historiker zur Geschichte der Kommunistischen Internationale, Berlin 1990, S. 106.) Zwei Jahre später wiederum habe Stalin nach Aussage des sowjetischen Historikers Daschitschew auf eine Übereinkunft mit Hitlerdeutschland zugesteuert und unter Umgehung von Litwinow (damals Außenminister der Sowjetunion) geheime Gespräche mit den Anführern des Dritten Reiches geführt (Bühl 1989, S. 99).

Die Verhandlungen zum Abschluß des Nichtangriffspaktes vom August 1939 führte von sowjetischer Seite schon nicht mehr Litwinow, sondern bereits Molotow. Litwinow, er war Jude, war bereits im Mai 1939 abgelöst worden, und manche Historiker sehen darin ein Indiz für ein Entgegenkommen für Hitler. Unzweideutig dagegen ist der Toast, den Stalin anläßlich des Abschlusses des Nichtangriffspaktes im Beisein Ribbentrops (Außenminister Deutschlands) mit folgenden Worten ausbrachte "Da das deutsche Volk seinen Führer so sehr liebt, wollen wir auf die Gesundheit des Führers trinken." (Bühl 1989, S. 9). Zwar hatte sich Stalin dessen Kannibalenbibel (Hitlers Buch 'Mein Kampf'), wie sein Biograph Wolkogonow berichtet, vorlegen lassen, sicherlich nicht, ohne sich Auszüge daraus übersetzen und vortragen zu lassen. Stalin wußte also um Hitlers Ziele. Offenbar aber faszinierten ihn sein Programm und seine Vorgehensweise. Die spontanen Äußerungen zu Mikojan und im Toast auf Hitler, 'sowie der unbedingte Versuch, sich Hitler anzunähern und später engere Kontakte zu Hitlerdeutschland herzustellen, deuten doch wohl auf ein offensichtliches Faible Stalins für Hitler hin. Diese subjektive Neigung fand dann auch in die große Politik Eingang.

Auf dem 18. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion am 10. März 1939 werden England und Frankreich als Hauptkriegstreiber dargestellt und nicht etwa Hitlerdeutschland, das damals schon Österreich und Teile der Tschechoslowakei annektiert hatte. Der Botschafter Graf Werner von der Schulenburg schrieb deshalb, verwundert in seinem Bericht, "daß sich die Ironie und Kritik Stalins erheblich schärfer gegen England, d.h. die regierende englische Reaktion wendete als etwa gegen die sogenannten Angreiferstaaten und insbesondere Deutschland." (Hass 1990, S. 27). Und der Militärattaché General Köstring schreibt am 13. März 1939 an General von Tippelskirch überrascht: "Man muß sich fragen, welchen Zweck befolgt Stalin damit daß er uns ausgesprochen milde, wenn nicht gar wohlwollend behandelt? Andererseits, England, Frankreich und die USA als Hetzer zu einem Kriege Rußland Deutschland anprangert. Letztere Staaten kommen entschieden schlecht weg." (ebenda, S. 96).

Eine rechte Erklärung dafür mag Köstring jedenfalls nicht finden. Wenn man von dem schwachen Argument absieht, daß, wenn Deutschland im Westen seinen Hauptgegner sehe, die UdSSR vor Deutschland Ruhe hätte. Schon im August 1939 wandte sich Hitler, der ja eine Aggression auf Polen plante, schriftlich an Stalin mit der Bitte, den Außenminister Ribbentrop zwecks Abschluß eines Nichtangriffspaktes zu empfangen. Hitler wollte offensichtlich bei seinem Angriff auf Polen nicht in einen Konflikt mit der Sowjetunion geraten. Da Hitler noch im August gedachte loszuschlagen und sich die sowjetische Antwort verzögerte, traf dann ein persönliches Telegramm Hitlers bei Stalin ein mit der dringenden Bitte, Ribbentrop am 22. oder 23. August zu empfangen. Er hatte seine Angriffstermine verschoben. Die Zusage kam, aber niemand außer Stalin und Molotow (möglicherweise auch Klernent Gottwald als Mitarbeiter der Komintern - das ist aber nicht ganz sicher) wußten von diesem Besuch. Am 23. August erfolgte der Vertragsabschluß mit dem Geheimen Zusatzprotokoll, in dem die Interessensphären Hitlerdeutschlands und der Sowjetunion festgelegt wurden. Stalin war offenbar begeistert, wie der schon zitierte Toast beweist.

Rund einen Monat später, am 28. September 1939, nach der Niederwerfung Polens, wird ein deutsch-sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag ausgehandelt, der der UdSSR die Besetzung der nach 1918 zu Polen gekommenen Gebiete bis zur sog. Curzon-Linie erlaubte und auch ihre Interessen im Baltikum, sprich Einverleibung der seit 1918 selbständigen Staaten Estland, Lettland und Litauen, wahrzunehmen.

Hier springen Parallelen zu Hitlerdeutschland in die Augen. Hitler hatte sich mit Billigung bzw. Duldung der Westmächte Österreich und einen Teil der Tschechoslowakei einverleibt, letztere war auch erst nach 1918 selbständig geworden.

Was tat eigentlich Stalin mit Hilfe Hitlers anderes als Hitler mit Hilfe der Westmächte?

Der von Stalin offenbar verehrte Hitler erlaubte die erstrebte Ebenbürtigkeit bei der Eroberung und Besetzung fremder Territorien. Gerhard Hass (1990, S. 49) schreibt in diesem Zusammenhang: "Von sowjetischen und anderen Historikern ist als eine Ursache dieser Handlungsweise Stalins Persönlichkeit genannt worden. Bei der Analyse von Stalins Charakter verweisen sie darauf, er habe sich in asiatischen, vor allem vorderasiatischen Politikern recht gut ausgekannt, jedoch gegenüber europäischer und amerikanischer Mentalität Unverständnis gezeigt, auch im Jahre 1939." Oder wie ist es zu erklären, daß es am 22. September 1939 eine gemeinsame Truppenparade deutscher und sowjetischer Truppen in Brest-Litowsk, abgenommen von Brigadegeneral Kriwoschein und General Guderian, gab? Dieser symbolische Akt ist sicher als Höhepunkt der Annäherung an Hitlerdeutschland anzusehen. In der Folgezeit wird die Annäherung der Sowjetunion an Hitlerdeutschland auch in Stalins Innenpolitik erkennbar. Der bisherige Kurs antifaschistischer Propaganda wurde aufgegeben. Die antifaschistische Zeitung "Die Deutsche Zeitung" wurde verboten und ihre Leitung verhaftet (Bühl 1989, S. 42). Hitlerreden wurden auszugsweise in der Prawda veröffentlicht, und Wolfgang Leonhard weiß zu berichten, daß in der Bibliothek für ausländische Literatur manchmal Nazizeitungen auslagen, und in der Öffentlichkeit konnte man manchmal Worte hören wie: Hitler Molodez (Prachtkerl) (Leonhard 1989, S. 76-79).

Nach der Niederwerfung Polens und dem Vorrücken der Roten Armee bis zur Curzon­Linie wurden weitere Übereinkünfte mit Hitlerdeutschland Realität. So wurden in der Folge von Stalin Hunderte von Kommunisten, die in der Sowjetunion unter falscher Anschuldigung mit und ohne Urteil in die Arbeitslager gesperrt worden waren, im Zuge der "Repatriierung" an die Gestapo ausgeliefert. Margarete Buber-Neumann möge hier als Beispiel dienen. Sie kann aus einem Gulag in Karaganda ins Frauen-KZ Ravensbrück (Buber-Neumann 1952).

Durch sowjetisch-deutsche Militärgespräche am 20, September 1939 kam es zu Absprachen über eine Koordinierung der Bekämpfung von sog. "polnischen Banden", sprich Resten der ehemaligen polnischen Armee. In der Folge wurden in Katyn polnische Offiziere erschossen. (Nach den Hinrichtungen gab es Alkohol. Die Ermordung der Polen in Katyn: Ein Russe, der dabei war, berichtet in: Moskau News Nr. 11, November 1990.)

Warum es zu all dem gekommen ist, sagt uns der erste finnische Staatspräsident nach 1945, Paasikivi, in seinen Memoiren, wenn er schreibt, daß gewisse Ähnlichkeiten der Systeme Hitler-Deutschlands und der Sowjetunion die Zusammenarbeit erleichtert hätten (vgl. Leonhard 1989, S. 48). Stalins Hilterfaible wird nur allzu verständlich. Demzufolge glaubte Stalin auch nicht an die bevorstehenden Kriegsvorbereitungen Hitlers zum Überfall auf die Sowjetunion. Die beispielsweise von dem sowjetischen Aufklärer Dr. Richard Sorge beschafften und übermittelten Nachrichten zum baldigen Kriegsausbruch wanderten ins Archiv mit den Bemerkungen: "Gehört zu den zweifelhaften und irreführenden Nachrichten" (Mader, Stuchlik, Pehner 1966, S. 156). Ein weiterer Aufklärer, Gerhard Kegel, damals Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Moskau, stellt in seinen Memoiren resignierend fest: "Aber ich hatte den Eindruck, die unmittelbare Gefahr des nazistischen Angriffs werde leider nicht gebührend ernst genommen." (Kegel 1983, S. 224). Wie weit Stalins Vertrauen trotz sich häufender massiver Übergriffe an der Grenze und unheilvoller Nachrichten zu Hitler ging, belegt der Fakt, daß noch am 21. Juni 1941 sowjetische Diplomaten in Berlin zwecks Verhandlungen wegen des Beitritts der Sowjetunion zum Dreierpakt vorstellig werden sollten.

Valentin Falin schätzte den seinerzeitigen Stalin wie folgt ein: "An eine Naivität Stalins mag ich nicht glauben, aber in seiner durch und durch scholastischen Denkweise konnte er durchaus das Modell von Rapallo mechanisch auf eine ganz andere historische Situation übertragen und so als ausgemachter Anhänger der Selbstvergötzung in Hitler einige angenehme Charakterzüge entdecken. Allem Anschein nach war Stalin in diesem Lebensabschnitt bereits außerstande, auch nur für möglich zu halten, ihn könne jemand überlisten oder gar zum Narren machen." (Bühl 1989, S. 93).

Als 1945 Hitlerdeutschland bedingungslos kapitulierte, konnte Man überall Tafeln sehen, auf denen zu lesen stand: Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk, aber der deutsche Staat bleibt. - J. Stalin. Das war Stalins Epilog für sein Hitlerfaible, nur das hatte Millionen Menschen unsinnigerweise das Leben gekostet. Und als man während des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses auf die Zusatzprotokolle zu sprechen kam, bezeichnete diese der sowjetische Hauptankläger General Rudenko als antisowjetische Fälschungen. Und in der Tat, solche Protokolle wurden auch Jahrzehnte später nicht in sowjetischen Archiven gefunden. So sah dann Stalins Distanzierung von Hitler aus.



© Wolfgang Bernhagen, Berlin 1993




Literatur:

BUBER-NEUMANN, Margarete: Gefangene bei Hitler und Stalin. Köln 1952.

BÜHL, Achim (Hrsg.): Der Hitler-Stalin-Pakt. Die sowjetische Debatte. Köln 1989. HASS, Gerhard: 13. August 1939. Der Hitler-Stalin-Pakt. Dokumentation. Berlin 1990.

KEGEL; Gerhard: In den Stürmen unseres Jahrhunderts. Berlin 1983. LEONHARD, Wolfgang: Der Schock des Hilter-Stalin-Paktes. München 1989. MADER, Julius, STUCHLIK, Gerhard, PEHNER, Horst: Dr. Sorge funkt aus Tokio. Berlin 1966.










 

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