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Heinz Beinert
"Permanente Kriegserklärung der Konservativen"
Heinz Beinert, linker Berliner Sozialdemokrat: Über
Geschichtsaufarbeitung, Abgrenzungen und Bündnisfragen
Die SPD gerät immer wieder mal in die Versuchung, sich an
konservative Politik anzupassen, um ihre Regierungsfähigkeit zu
beweisen. In der Regel funktioniert das nicht. Die anvisierten
Wählergruppen bekommt man nicht, weil die lieber das Original
wählen, und auf der eigenen Seite gibt es eher Protestabstinenz.
Dies sei vorausgeschickt, da die Partei bei derartigen
Anpassungsmanövern notgedrungen auch konservativer Politik
zugrunde liegende Ideologie an ihre Fahnen heften muß.
Dazu gehört vor allem der Antikommunismus in seiner von der
politischen Rechten geprägten reaktionärsten Form. Bis 1945 war
er die Vernichtungsstrategie der Nazis gegen die politische
Linke, seit Adenauer Teil der bundesrepublikanischen
Staatsräson. Dieser Antikommunismus hat ebenso wie das
herrschende Wirtschaftssystem keinen Verfassungsrang. Gleichwohl
stehen beide in der Logik der Konservativen in einem
Zusammenhang mit dieser: Wer das Wirtschaftssystem, also den
Kapitalismus, verändern will, stellt bestimmte Formen des
Eigentums infrage, vergreift sich am höchsten Gut der
bürgerlichen Werteskala, ist also Verfassungsfeind. Nun richtet
sich dieser Antikommunismus nicht nur gegen Kommunisten, sondern
auch gegen Sozialisten aller Couleur. Diese zutiefst
antidemokratische Einstellung impliziert Theorie-, Denk- und
Handlungsverbote; seine Ausdrucksformen sind Einschüchterung,
Diffamierung und Denunziation. Damit werden u.a. auch Teile der
SPD und der Gewerkschaften von der hoheitlichen Anmaßung der
politischen Rechten getroffen, Teile der Gesellschaft aus der
Demokratie auszugrenzen. Insofern ist die eigentliche Funktion
des Antikommunismus nicht die Verteidigung von Freiheit und
Demokratie im Sinne des Grundgesetzes, sondern eine spezifische
Variante polizeistaatlicher Gesinnung.
Die von Hinze & Co auf dieser Grundlage geführte Strategie gegen
die PDS richtet sich tatsächlich auch gegen die
Sozialdemokratie. Deren Einfalt in dieser Frage fördert den
Erfolg dieser Kampagne. Dabei ist der Schaden für die SPD größer
als für die PDS. Entscheidende Kräfte in der SPD sind
offensichtlich der Meinung, dieser permanenten Kriegserklärung
der Konservativen nicht entgegentreten, sondern in das gleiche
Horn stoßen zu müssen; teils mit anderen, aber meistens nicht
besseren Argumenten - wie kürzlich auch in einem Beitrag in der
"Berliner Stimme" von Tiergartener Jusos. Auf dessen Grundgehalt
soll hier eingegangen werden.
Die Geschichtsaufarbeitung.
Zentraler Vorwurf an die Adresse der PDS ist die angeblich
mangelnde Aufarbeitung der Geschichte ihrer Herkunftspartei SED.
Nun habe ich mich bei der Arbeit an meinem Buch gerade mit
diesem Aspekt ausführlich beschäftigt und viel Zeit dafür
gebraucht, die Vielzahl von der PDS oder PDS-Autoren
herausgegebenen Bücher zum Thema durchzuarbeiten. In der Regel
sind das kritische und selbstkritische Auseinandersetzungen mit
der Vorgängerpartei und der DDR, die durchaus den Anspruch auf
Geschichtsaufarbeitung erheben können. Zu einer ähnlichen
Beurteilung kommt auch Peter von Oertzen in seinen vom "Neuen
Deutschland" (17.1. 1997) veröffentlichen "Kritischen
Anmerkungen" zu einem jüngst im Dietz Verlag Berlin von einer
PDS-nahen Stiftung herausgegebenen Buch "Zur Programmatik der
Partei des Demokratischen Sozialismus. Ein Kommentar". Oertzen
schreibt dazu u.a.: "Auf besondere Aufmerksamkeit wird bei den
Lesern des ,Kommentars' sicherlich das Bestreben stoßen, die
Geschichte der Entartung und des Scheiterns des
staatsmonopolistischen ,Sozialismus'(Stalinismus) kritisch
aufzuarbeiten. Solche Passagen finden sich im gesamten Buch und
bei allen Autoren. Diese Selbstkritik ist sachlich wohlbegründet
und von schonungsloser Aufrichtigkeit. Die dramatische
Unterschätzung, ja Mißachtung der liberalen Rechte und
Freiheiten und der ,bürgerlichen' Demokratie werden zu Recht als
Grundirrtum und die Hauptursache des Scheiterns der
kommunistischen Bewegung benannt. Wer nach der Lektüre des
,Kommentars' der PDS noch fehlende historische Selbstkritik
vorhält, sagt die Unwahrheit - ob vorsätzlich, leichtfertig oder
aus borniertem guten Glauben." Ein weiterer Beitrag dazu ist die
Rede von Gregor Gysi im Bundestag am 30. Januar 1997 in der
Debatte zur deutsch-tschechischen Erklärung: "Es gab aber auch
das Jahr 1968 mit dem Einmarsch der sowjetischen und anderer
Truppen. Wie man heute aus historischer Sicht weiß, sind zwar
die Truppen der DDR nicht miteinmarschiert, aber die DDR hat in
vielfacher Hinsicht bei diesem Einmarsch Hilfe gewährt. (...) Da
ich hier in einer historischen Verantwortung stehe, will ich die
Gelegenheit nutzen, mich im Namen meiner gesamten Partei bei dem
tschechischen und slowakischen Volk dafür aufrichtig zu
entschuldigen."
Die politischen und wirtschaftlichen Krähe der alten
Bundesrepublik haben sich bis heute einer Aufarbeitung ihrer
Geschichte weitgehend entzogen. Und das ist die eigentliche
Chuzpe der Aufarbeitungskampagne gegen die PDS, die eigene
Vergangenheit zu vernachlässigen oder, schlimmer noch,
glorifizieren, zu wollen, mit dem Finger nur auf den anderen zu
zeigen. Schließlich war der Kalte Krieg keine einseitige
Veranstaltung. Doch es entspricht einer hierzulande gängigen
Praxis, Geschichte nicht in ihren politischen,
gesellschaftlichen, ökonomischen und zeithistorischen
Zusammenhängen zu sehen. In dieser Sicht ist dann 1945 einfach
die "Gruppe Ulbricht" vom Himmel gefallen, und alles Unheil
begann.
Jeder weiß doch, daß das, was 1945 und danach in Deutschland und
in Europa - geschah, Folge einer Entwicklung war, die mindestens
bis in das erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zurückreicht.
Die Katastrophen, die Europa veränderten, haben in einem ganz
besonderen Maße mit der Spaltung und dem schließlichen Scheitern
der deutschen Arbeiterbewegung zu tun. Insofern stünde es
ebenfalls der SPD gut an, in den Spiegel ihrer Geschichte zu
schauen. Natürlich würden auch in einer tiefer angelegten
Retrospektive Fehler und Vergehen der SED und ihrer
Trabantenparteien, die permanenten Demokratie- und
Menschenrechtsverletzungen, eine zentrale Rolle spielen müssen,
aber die Dimensionen würden sich verschieben und manche sorgsam
gehüteten Mythen hätten ausgedient.
Man darf sicher nicht in den Fehler verfallen, die
zeitgeschichtliche Kausalkette der Irrungen, Wirrungen und
Versäumnisse, wie auch der Verdienste der deutschen
Arbeiterbewegung seit der Revisionismusdebatte zwischen Eduard
Bernstein und Rosa Luxemburg zu Beginn unseres Jahrhunderts wie
einen Rosenkranz herunterbeten, aber eine rationelle
Aufarbeitung in Form eines fairen, diskursiv geführten Dialogs
wäre allemal ein notwendiger Beitrag für die solide Basis eines
erneuerten Humanismus im Umgang miteinander. Denn, so Egon Bahr,
es gibt keine Notwendigkeit für die SPD, die Spaltung der
Arbeiterbewegung neu zu erfinden und zu begründen.
DDR-Nostalgie.
Es ist offenkundig, daß breite Schichten der Bevölkerung der
neuen Bundesländer an den Folgen der Kohlschen
Vereinigungspolitk zu leiden haben, und sich daraus bei den
Betroffenen politische und moralische Haltungen, Meinungen und
Bewertungen ergeben, die Vergleiche mit ihrer Existenz in der
DDR einschließen. Dazu kommt, daß viele besserwissende Wessis
den Ossis in den Medien und anderswo erklären, wie sie damals
gelebt und was sie falsch gemacht haben. Diese Gemengelage
erzeugt Solidarisierungseffekte und fördert den Blick der
Ostdeutschen auf ihre Vergangenheit in der DDR und verstärkt
zunehmend das Empfinden, daß dort nicht alles schlecht, sondern
vieles sogar gut war.
Dieses Verhalten wird den Ostdeutschen angekreidet und als
DDR-Nostalgie denunziert. Die Eifrigsten der westlichen
Vergangenheits-"Forscher" verkünden diesen
"demokratiebedrohenden Notstand" als das Ergebnis der Wühlarbeit
der PDS. Die SED-Nachfolger würden die Sorgen und Nöte der
Menschen nutzen, das Zurück zur DDR propagieren.
Nun wäre es schon erstaunlich, gäbe es keine Ostdeutschen, die
sich ihre untergegangene DDR zurückwünschten. allem Anschein
nach jedoch eine verschwindende Minderheit. Nach dem Anschloß
1990 würden immerhin Millionen Lebenslinien abrupt unterbrochen,
Existenzen zerstört, für viele eröffnete sich eine nie gekannte
Perspektivlosigkeit. Und da gibt es noch eine zweite Variante
östlichen Zurückdenkens, für die zumindest westliche Linke
Verständnis aufbringen sollten. Dieses vor allem für die
Generation, die nach ihren Erlebnissen mit Faschismus und Krieg
neue Verhältnisse schaffen wollte, um die Ursachen für solche
Menschheitskatastrophen zu beseitigen. Im Osten wurde der Anfang
dazu, die Enteignung des Großgrundbesitzes und der
Produktionsmittel gemacht (bis 1959 auch Programmpunkt der SPD).
Daß auf dieser Grundlage sich keine demokratisch-sozialistische
Gesellschaft entwickelte, hatte primär zwei Gründe: Im
Machtbereich der von Stalin beherrschten Sowjetunion, dominiert
von Genossen, die in der Emigration in der UdSSR domestiziert
worden waren gab es keine Chance für einen
demokratisch-sozialistischen Prozeß der Entwicklung von Staat
und Gesellschaft. Dies noch viel weniger, und das ist der zweite
mitentscheidende Grund, an der Nahtstelle der
Ost-West-Konfrontation.
Dennoch, viele Menschen in der SBZ/DDR hatten diesen Versuch
mitgewagt. Aus ihrer Sicht durchaus mit Erfolgen. So war die DDR
auch "ihr" Land und "ihr" Staat, mögen sie auch noch so oft
angesichts der bürokratischen Deformation des Systems innerlich
geflucht oder offen ohne Erfolg gemeutert haben; die Hoffnung
auf Besserung blieb. Nur drückt bei den meisten diese Denk- und
Erinnerungshaltung noch lange nicht die unterstellte
Zurück-zur-DDR-Mentalität aus.
Bei aller Berechtigung ihrer Kritik an der stalinistischen
Politik der Verfolgung und Ausschaltung der Sozialdemokraten in
den Aufbaujahren der DDR sollte die SPD vielleicht
selbstkritisch darüber nachdenken, ob, wenn sie diese Versuch
der Schaffung einer neue Gesellschaftsordnung 1918 mutiger und
konsequenter gewagt hätte, die Entwicklung danach anders
verlaufen wäre und der Menschheit Nazizeit und 2. Weltkrieg
möglicherweise erspart geblieben wären.
Die PDS - eine demokratische Partei?
Von einem Großteil der Medien und den übrigen Parteien oder von
unterschiedlich starken Gruppierungen in ihnen, wird die
demokratische Integrität der PDS in infrage gestellt. Die
ablehnende Haltung der Bonner Koalitionsparteien ist klar,
bedarf keiner weiteren Begründung. Bei der SPD und B 90/Die
Grünen sind die Ablehnungsgründe vielschichtiger. Wahltaktische
Erwägungen oder strategische Überlegungen es ebenso wie
grundsätzliche Ablehnung auf der Linie der Konservativen.
Wie auch immer, die Leugnung des demokratischen Charakters der
PDS entbehrt jeder Grundlage. Statut, Programm und politische
Praxis der Partei in Kommunen, Ländern und Bund weisen dies
eindeutig aus. Unbestritten hat die PDS auch große innere
Probleme. Die Stasi-Problematik gehört zweifellos dazu. Eigene
Fehler bei der Aufarbeitung können auch damit nicht entschuldigt
werden, daß der Herr der Akten, diese zeitlich fein dosiert
operativ handhabt. Das mit den Veröffentlichungen exakte
Zusammenspiel einer staatlichen Behörde mit den Medien ist
politisch und moralisch höchst zweifelhaft. Ein weiteres
Handicap ist der mühselige Weg des Parteiaufbaues in den alten
Bundesländern. Dies ist allerdings nicht nur eine
organisatorische, sondern auch eine politische Frage. Vielfach
wird die schwache Basis dort von Mitgliedern ehemaliger
K-Gruppen gebildet, die mitunter noch die Schlachten vergangener
Jahrzehnte schlagen wollen. Dies wirkt abstoßend gerade auf die
Schichten, die die Partei mit-ihrer Politik erreichen will und
muß, wenn sie auf Dauer den Anspruch erheben will, ein stabiler
Faktor im pluralistischen Parteienspektrum auch im Westen zu
sein. '
Doch diese Verbreiterung der Mitgliedschaft ist auch aus
demografischen Gründen erforderlich wegen ihrer Überalterung im
Osten. Aber diese und weitere Probleme, wie sie auch andere
Parteien haben, rechtfertigen nicht, der PDS das Prädikat
undemokratisch zu erteilen.
Was das öffentliche Wirken der Gremien der PDS und das ihrer
Fraktionen in den Parlamenten betrifft, ist sie den
konkurrierenden Parteien sogar voraus, und ihre offenen Listen
für Nichtmitglieder bei Wahlen sind wohl auch kein Ausdruck von
konspirativer Einigung. Dies gilt ebenfalls für die
Kommunistische Plattform". In einer intakten Demokratie haben
Kommunisten das Recht der Existenz und der Organisierung,
solange sie die Normen der Verfassung nicht verletzen. Wie die
PDS innerparteilich mit den Kommunisten umgeht, ist allein ihre
Sache, nicht die der Staatsorgane.
Allerdings ist die PDS nach der bei uns herrschenden Ideologie
mit einem Makel behaftet: Ihr Parteiprogramm mit der Perspektive
einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft enthält
antikapitalistische Forderungen. Das u.a. bringt ihr den Vorwurf
der DDR-Nostalgie und der demokratischen Unzuverlässigkeit ein.
Dieser Unsinn könnte vernachlässigt werden, steckte dahinter
nicht der dauernde Versuch, die PDS politisch auszuschalten, oft
mit Mitteln, die Rechtsstaatlichkeit mißachten. Wenn sich
Sozialdemokraten daran beteiligen. ist dies umso
unverständlicher, hatten sie doch mehrmals in ihrer 130jährigen
Geschichte selbst darunter zu leiden, zuletzt eben nach der
Vereinigung von SPD und KPD zur SED 1946 in der SBZ und später
in der DDR.
Statt sich also an primitiven Ausschaltungsversuchen zu
beteiligen und sich den vielen unsinnigen Argumenten und
Vorurteilen anderer politischer Kräfte anzuschließen, müßte die
SPD die von ihr als notwendig erachtete Kritik aus einer linken
Position heraus an Programm, Politik und Personen der PDS
artikulieren. Aber dies setzte voraus, daß die SPD selbst aus
einer soliden grundlegenden Gesellschaftskritik heraus Politik
und politische Strategien entwickeln müßte, was sie aber kaum
tut. Dabei brauchte sie zur Anleitung nur mal ab und zu in ihr
gültiges Grundsatzprogramm zu schauen. Ein Beispiel dafür, wie
man kritisch mit der PDS umgehen kann, zeigt der bereite
eingangs erwähnte Artikel von Peter von Oertzen im "Neuen
Deutschland, der mit den Sätzen schließt: "Der Weg des
,Realsozialismus' hat in die Irre und in die Sackgasse geführt,
nicht weil er zu marxistisch oder zu kommunistisch gewesen wäre,
sondern weil er gerade das nicht war. Der von L. Bisky
angekündigten weiteren Diskussion in der PDS(...) wäre also eine
vertiefte Hinwendung zum Marxismus und den Traditionen des
revolutionären Sozialismus aller Richtungen zu wünschen. Nicht
etwa ;zurück zu Marx', sondern ;vorwärts zu Marx'".
Solch eine Kritikrichtung von Linken, inhaltlich ausgefüllt, ist
notwendig, damit aus Diskussion und Deutung von Geschichte und
Gegenwart öffentliches Bewußtsein für die Entwicklung
gesellschaftlicher Perspektiven als Alternative zur
gegenwärtigen Politik erwachsen kann - und damit die Menschen
wissen, was die SPD eigentlich will, was sie von den
Konservativen und Neoliberalen unterscheidet.
Von den Grünen sollte man verlangen können, daß ihr Verhalten
der PDS gegenüber getragen ist von den demokratischen
Prinzipien, mit denen sie sich selber ihren Weg in die
Institutionen erkämpft haben, und sie sollten im Streit mit der
PDS auf alle Methoden verzichten, die das Kartell der
Altparteien bis in die achtziger Jahren gegen sie angewandt hat,
um ihnen den Weg in Politik und Parlamente zu versperren. Beide
Teile der Partei haben früher unter unterschiedlichen
politischen Verhältnissen und Gefährdungen als Opposition für
mehr Demokratie gekämpft. Dies sollte ihren Stil in den
aktuellen Auseinandersetzungen prägen. Ähnlich wie die SPD
lassen sich B90/Die Grünen in ihrer Argumentation gegen die PDS
aber in die von der CDU/CSU aufgestellten Propagandafallen
locken. Der Übertritt einiger ihrer prominenten Ostmitglieder
zur CDU darf die Grünen nicht zu noch mehr Anpassung verleiten.
Bündnis gegen konservative Hegemonie.
Die konservative Hegemonie in Deutschland hat in der
vierzehnjährigen Ära Kohl einen Zustand erreicht, der an die
Adenauerzeit erinnert. Alles was dazwischen lag, sozialliberale
Regierungszeiten und gesellschaftlicher Aufbruch mit der
APO-Initialzündung, scheint verbraucht zu sein.
Gegenwärtig erleben wir die Auswirkungen der strukturellen
Wirtschaftskrise, von der nicht nur die Bundesrepublik betroffen
ist. Die Art und Weise der Diskussion über Renten, Steuern und
Sozialsystem zeigt die Labilität der Situation. Vor dem
Hintergrund der noch weiter zunehmenden Arbeitslosigkeit zeigt
sich die Bonner Koalition außerstande, die alle
ineinandergreifenden Probleme der Krise Lösungen zuzuführen, die
den Sozialstaat nicht demontieren. Deshalb ist es völlig
richtig, wenn die Bonner Opposition erklärt, daß die Regierung
Kohl am Ende ihres Lateins ist und abgelöst gehört.
Aber wie? Nicht viel deutet momentan darauf hin, daß die drei
Oppositionsparteien fähig sind, für eine alternative
Reformpolitik ein entsprechendes Bündnis herzustellen. Manche
und manches nährt den Verdacht auf einen Kurs der SPD hin auf
eine große Koalition. Die Haltung der SPD zur Frage eines
Bündnisses ist ja nicht nur kritisch in Hinblick auf die PDS.
Teile der Partei, nicht nur in der Bundestagsfraktion, haben
auch zu den Grünen immer noch ein distanziertes Verhältnis.
Andererseits gibt es bei den Grünen, besonders den Ostdeutschen,
große Vorbehalte gegen die PDS. Der gegenseitige Vorwurf der
Bündnisunfähigkeit fällt auf alle drei Parteien zurück. Offenbar
haben sie noch nicht den Ernst der Situation begriffen. Statt
die Regierung mit Lösungsvorschlägen für die großen Probleme zu
jagen, beteiligen sie sich an zweitklassigen Fragen des Umzuges
nach Berlin und anderen Verdrängungsritualen.
Dabei wäre es vorrangig notwendig, die Kohlpropaganda, bis zum
Jahr 2000 die Arbeitslosenzahl zu halbieren, als Lüge zu
entlarven. Es gibt genügend Hinweise darauf, daß im Zuge der
Globalisierung weltweit die Arbeitslosenziffern weiter ins
Unermeßliche steigen werden. (Allein in Deutschland werden im
nächsten Jahrzehnt allein in der Industrie l,5 Millionen Jobs
gestrichen, prognostiziert der führende Unternehmensberater der
Republik, Roland Berger.*)
Die Globalisierung, der Versuch, (die ganze Welt zu einem
einzigen Markt zu verschmelzen*), ist die weltweite Kampfansage
des Kapitalismus an die Mehrheit der Menschheit. Was jetzt in
Deutschland geschieht (Abbau des Sozialstaates, steigende
Konzerngewinne und sinkende Löhne, Renten- und
Steuerdiskussion), sind erst die Vorboten, (die Reformer im
Zeichen der Globalisierung kündigen vielmehr den ungeschriebenen
Gesellschaftsvertrag der Republik, der die soziale Ungleichheit
durch Umverteilung von oben nach unten in Grenzen hielt.
Doch nach den Reformen des sozialdemokratischen Jahrhunderts
bahnt sich nun eine Gegenreform von historischer Dimension an:
Rückwärts geht es in die Zukunft, und Gewinner wie Heinrich von
Pierer, der Chef des Weltkonzerns Siemens, triumphieren: "Der
Wettbewerbswind ist zum Sturm geworden, und der richtige Orkan
steht uns noch bevor."*)
Dies sind die Themen für die Opposition, und da die Probleme den
nationalen Rahmen sprengen müssen die drei Parteien ihre
internationalen Zusammenschlüsse mobilisieren, um die Angriffe
der Internationale des Kapitals wirksam abwehren zu können. Und
sie müssen vor allem das eigene Volk mobilisieren, es aus der
Passivität und politischen Abstinenz in die politische Arena
zurückholen.
Dies wird allerdings nur gelingen, wenn der parlamentarischen
Opposition Dampf und Mut gemacht wird von einer neuen
außerparlamentarischen Bewegung. Die Erfahrung von 1968 und der
Geist von 1989 sind für 1998 aufgerufen, den Machtwechsel
herbeizuführen, wie es in der
"Erfurter Erklärung" heißt.
Die Unterzeichner fordern von der SPD in der Erklärung: "Mut zur
Opposition auf ganzer Linie. Die Mehrheit der Bevölkerung traut
ihr (der SPD) mehr Gerechtigkeit zu, aber nicht Entschlossenheit
zur Macht, sie auch zu verwirklichen.(..:) Die SPD muß ihrer
Herkunft als Partei der sozialstaatlichen Reformen auf neue
Weise gerecht werden: sie muß auch in nachhaltig veränderten
Zeiten mehr Demokratie wagen."
Es ist zu befürchten, daß dieser Ruf an der Partei vorbeigeht,
wenn sich der öffentliche Druck auf sie nicht verstärkt. die
letzten Monate haben wieder einmal gezeigt, daß die Probleme in
unserer Gesellschaft nicht nur in den Parlamenten gelöst werden
können. Die Gewerkschaften und die Arbeiter und Angestellten
haben mit ihren Demonstrationen und Streiks erfolgreich in der
Frage Lohnfortzahlung erste Angriffe auf die Tarifhoheit
zurückgeschlagen. Weitere Angriffe auf den Sozialstaat und die
soziale Gerechtigkeit kündigen sich an.
Die aber werden die Gewerkschaften auf Dauer nicht allein
abwehren können. Sie brauchen an ihrer Seite eine breitere
politische Bewegung - und vor allem eine neue Regierung,
getragen von einem Reformbündnis der linken Parteien, in welcher
Konstellation auch immer.
Die gruselige Alternative dazu wäre, daß sich der Mehltau einer
Großen Koalition über ganz Deutschland ausbreitet.
Für die Berliner SPD wäre es ein Akt der Wiedergutmachung für
die Last der bitteren Jahre der Großen Koalition, die sie sich
und den Berlinern aufgebürdet hat, wenn sie sich mit einem
baldigen Kurswechsel auf ihre eigentliche Klientel
zurückbesinnen würde. Dies wäre ein wichtiger Beitrag für die
deutsche Politik und zugleich der notwendige Ausbruch der
Hauptstadt-SPD aus ihrer derzeitigen provinziellen Enge.
© Heinz Beinert, Berlin 1997
(Die mit einem *) gekennzeichneten Textstellen sind dem Buch
"Die Globalisierungsfalle - Der Angriff auf Demokratie und
Wohlstand", Rowohlt Verlag 1996, entnommen, über das Peter
Turrini in DIE ZEIT schrieb: Das Sachbuch aller Sachbücher,
einflammender Aufruf, eine kämpferische Denkschrift, die auf die
Macht der Vernunft setzt. )


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