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Manfred Behrend
Was tun, um wieder wählen gehen zu können?
Obwohl die Frage Krieg oder Frieden die brennendste und wichtigste ist, müssen
über kurz oder lang auch andere wichtige Probleme geklärt werden. Dazu bedarf
es entsprechender politischer und gesellschaftlicher Kräfte, auf der Straße
ebenso wie im Parlament. Die Linke steht mit wenigen Ausnahmen in allen kapitalistischen
Haupt- und vielen anderen Ländern, darunter der erweiterten BRD, vor einem
schwerwiegenden Dilemma. Welcher Partei, die mit Aussicht auf Erfolg bei
Wahlen antreten kann, sie auch immer ihre Stimme gibt – es wäre nach dem
gegenwärtigen Stand die falsche Partei. Die SPD wandelte sich in einem längeren
Prozess zum Werkzeug des Großkapitals. Den Grünen gelang das Gleiche weit
schneller. Die PDS gar tauchte blitzschnell in den Realosumpf ab und kann
sich offenbar nicht daraus befreien. Unter rechten Hirtinnen und Hirten gleich
welcher Funktion oder Nichtfunktion treibt sie eine Politik, die dem geltenden
Programm, allen sozialistischen Grundsätzen und vielen Wahlzusagen widerspricht.
Zwar behält sie wider manche Contraposition von Spitzenkräften ihren Antikriegskurs
bei, was nicht wenig ist. Sie bleibt aber sonst, des Geraer Parteitags ungeachtet,
generell bei einer Politik der Unterwerfung unter die Herrschenden, die wesentlich
zu ihrer Niederlage bei den letzten Bundestagswahlen beigetragen hat und
sie von demokratischen und sozialistischen Zielen immer weiter wegführt.
Insbesondere stößt ihr Kurs in Berlin, mit dem das Kapital und die Abzockermafia
zufriedengestellt werden sollen, ökonomisch und politisch Benachteiligte,
Arbeitende wie Arbeitslose, aber die Zeche zu zahlen haben, die eigene Wählerbasis
fortwährend vor den Kopf. Innerhalb der Partei ist leider keine hinreichend
starke und entschlossene Gruppierung in Sicht, die dem Paroli bieten und
die Verantwortlichen für die Misere zum Teufel jagen kann. Wahrscheinlich
ist die PDS nicht mehr zu vorwärtsweisender Politik imstande – und damit
für die Beherrschten überflüssig und schädlich geworden.
Was tun, wenn wieder abgestimmt wird? Die heutigen Auswahlmöglichkeiten gleichen
denen in Ulbrichts und Honeckers DDR seligen Angedenkens: Es gibt nur noch
eine – zwar anders firmierende und mit anderer Zielsetzung begabte – "Nationale
Front“ . Doch wäre offenbar auch Wahlenthaltung verkehrt. Selbst wenn allein
die jetzt agierenden Parteien Zettel in die Urne werfen würden: Sie kämen
mühelos an Krippe und Steuerpult heran. Eine Revolution, den politisch wie
gesellschaftlich unhaltbaren Zustand zu ändern, ist außer Reichweite. Doch
gibt es meines Erachtens eine gangbare Alternative für Linke, die sich nicht
auf die oder jene Art ins Abseits begeben wollen. Das scheinen mir progressive
Wählergemeinschaften zu sein, die eng mit den außerparlamentarischen Bewegungen
verbunden sein und in bisher nicht gekannter Vielzahl tätig werden müssten.
Der Struktur nach basisdemokratisch und aus Leuten bestehend, die bei unterschiedlicher
Herkunft und Weltanschauung gleichermaßen ernsthaft gegen Krieg und Imperialismus,
Sozialstaatabbau, Steuergeschenke an Reiche und Begünstigung der Abzocker-Mafia,
fortwährend wachsende Belastung finanziell Minderbemittelter, die De-facto-Förderung
der Neonazis und ein weiteres Anziehen der Repressionsschraube gegen links
sind, könnten sie zugleich ein Positivprogramm vertreten, das massenwirksam
ist. Zu ihm müssten reale statt nur verbale Demokratie, die Durchsetzung
sozialer Gerechtigkeit und eines vernunftgemäßen Umgangs mit der Natur gehören.
Wir sollten über eine derartige Ergänzung zum gegenwärtigen Parteiensystem
nachdenken und sie sobald als möglich verwirklichen.
© Manfred Behrend, Berlin 2002


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