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Buchveröffentlichungen  









Manfred Behrend

Rezension

"Retter von Madrid" und Opfer Stalins

Walerij Brun-Zechowoj: Manfred Stern - General Kleber. Die tragische Biographie eines Berufsrevolutionärs (1896-1954).

Hauptereignis in diesem von einem Moskauer Historiker verfaßten Buch ist der Spanische Bürgerkrieg. Im Vorwort stellt Brun-Zechowoj zwei andere berühmte Kommandeure Internationaler Brigaden vor: den Chef der XII., Mate Zalka (General Lukacs), der 1937 bei Huesca fiel, und den der XIV., Karol Swierczewski (General Walter), welchen 1947 in Südpolen die Kugel eines ukrainischen Nationalisten tödlich traf. Beide hatten vor dem spanischen am russischen Bürgerkrieg teilgenommen. Letztgenannter kämpfte auch im ersten und zweiten Weltkrieg mit. Unter den Brüdern Manfred Sterns, von denen zu Beginn der Darstellung seines Lebens die Rede ist, fiel der älteste, Feiwel (Philipp), insofern aus dem Rahmen, als er Zivilist blieb. Zudem war er Anhänger des Zionismus, Rechtsanwalt und zeitweise gar Bankdirektor. Die jüngeren Brüder Wolfgang und Leo waren gleich Manfred Kommunisten, Offiziere und Teilnehmer am spanischen Krieg, Wolfgang auch Kominternfunktionär und Angehöriger der Nachrichtenverwaltung des sowjetischen Generalstabs (GRU), schließlich Oberst der Nationalen Volksarmee der DDR und Leiter des Potsdamer Instituts für Militärgeschichte. Der nach dem ersten Weltkrieg in Wien promovierte Leo Stern kehrte 1945 als Oberleutnant der Roten Armee dorthin zurück. Ab 1950 erst in Halle, dann in Berlin ansässig, wirkte er als einer der führenden DDR-Geschichtswissenschaftler und wurde, anders auch als Wolfgang, nicht unter Stalin repressiert.

    Manfred (Moses) Stern, 1896 in einem Dorf bei Czernowitz geboren, diente ab 1914 als Freiwilliger in der österreichisch-ungarischen Armee und geriet zwei Jahre später in russische Gefangenschaft. Er schloß sich dort einer bolschewistischen Organisation an und nahm als Kommissar einer Partisaneneinheit am Bürgerkrieg im sowjetischen Fernen Osten, als Brigadekommandeur am Kampf gegen den reaktionären Abenteurer Ungern-Sternberg in der Mongolei teil. Sodann studierte er - erst an der höchsten Kaderschule der KP Rußlands, anschließend an der Moskauer Militärakademie, und war zwischendurch als Militärberater  Teilnehmer am Hamburger Aufstand. Nach Studienabschluß unterrichtete er, zeitweise im Auftrag Thälmanns auch Kader der KPD, und wurde für den GRU-Geheimdienst tätig. 1929-1932 in den Vereinigten Staaten, gelang es ihm, den Prototyp eines amerikanischen Panzers zu stehlen und als Teil einer Ladung Cadillac-Limousinen auf einen UdSSR-Frachter zu bringen. In der Sowjetunion nachgebaut, erregten Panzerwagen dieses Typs während der Moskauer Maiparade 1932 Aufsehen bei den Militärattachés. In Schanghai war Stern, der als Sprachgenie unterdes Chinesisch gelernt hatte, 1932-1934 Hauptmilitärberater des illegalen Büros der KPCh und kontaktierte zugleich linksbürgerliche Politiker Chinas. Danach betätigte er sich im Östlichen Sekretariat der Komintern und hielt, ein hervorragender Redner, Vorlesungen an dieser zugehörigen Hochschulen.  

    Beim Schildern des bewegten Lebens seines Helden räumt Brun-Zechowoj ein, daß es ihm trotz neuer Aktenfunde nicht gelang, alles Wesentliche zu ergründen: Wichtige Bestände werden in Rußland immer noch geheimgehalten. Das gilt im Hinblick auf die Kuverts in Sterns Personalakte, die erst nach 75 Jahren geöffnet werden sollen. Es gilt auch für seine Zeugenaussage 1925 im Verfahren gegen Brandler, Thalheimer und Radek, die in dem von Jens Becker, Theodor Bergmann und Alexander Watlin herausgegebenen Protokoll ("Das erste Tribunal", Mainz 1993, S. 95 ff.) ebenfalls nicht steht. Immerhin geht aber aus anderen, vom Autor ausgewerteten Dokumenten hervor, daß Stern ein überzeugter Parteigänger Stalins war. So bezichtigte er den "Trotzkisten Urbahns", 1923 zusätzlich zur "allgemeinen defätistischen Linie des brandleristischen ZK" der KPD noch "niederträchtiges Streikbrechertum" betrieben zu haben, indem er als Sekretär des Hamburger Stadtkomitees anordnete, "sich der Kampfhandlungen zeitweilig zu enthalten". Der "Radek-Clique" sagte Stern nach, sie habe technisch-finanziell der KPD-Opposition geholfen (S. 43 f. und S. 46  vorliegenden Buches). Was davon richtig ist, hat der Verfasser nicht ergründet. Über jeden Zweifel erhaben scheint mir Sterns Selbstzeugnis über eine Hau-Ruck-Aktion am 7. 11. 1927, dem zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution, in Moskau zu sein. Er drang damals mit anderen in die Wohnung Iwar Smilgas ein und setzte eine Schlägerei in Szene, um diesen und weitere Anhänger Trotzkis am Ausgeben nichtstalinistischer Parolen an die am Haus vorbeidemonstrierenden Massen zu hindern. (S. 47 f. bzw. 155) Derart bewiesene "Parteitreue" hat ihn freilich nicht davor bewahrt, insgeheim selber "trotzkistischer" Theorien verdächtigt und bei der NKWD-Führung als potentieller Feind angeschwärzt zu werden. (S. 68 f.)

    Ein detailliertes Kapitel gilt Vorgängen in Spanien 1936/37, wo Stern unter dem Namen Emilio Kleber, angeblich Bürger Kanadas, einreiste. Er war Militärberater der spanischen KP-Führung und Kommandeur der XI., nach General Lukacs‘ Tod der XII. Interbrigade. Mit der XI. erwarb er sich im November 1936 Ruhm durch die Verteidigung Madrids, das die Regierung Caballero schon aufgegeben hatte. Er drang jedoch nicht mit dem Vorschlag durch, anschließend die Hinterland-Kommunikationen Francos zu zerstören. Als "Retter von Madrid" damals populärster Mann der Spanischen Republik, machte sich der nunmehrige General Kleber andererseits bei Militärs wie dem Chef der Verteidigungsjunta Miaja und General Asensio, beim Leiter der Zentralbasis der Internationalen Brigaden André Marty, beim damaligen sowjetischen Botschafter Marcel Rosenberg und bei UdSSR-Militärberatern, aber auch beim Vertreter der KPD-Führung Franz Dahlem und dem der Kominternexekutive Ercoli, d. h. Palmiro Togliatti, unbeliebt. Warum, hat der Verfasser nicht immer zufriedenstellend beantwortet. Ein Reibungspunkt war offensichtlich, daß Kleber gegen sinnloses Verheizen kommunistischer Kader bei Sturmangriffen gegen uneinnehmbare Positionen opponierte, ein anderer die angebliche Benachteiligung französischer und italienischer Offiziere durch ihn. Man warf ihm vor, aus Ruhmsucht einen "Presserummel" um sich veranstaltet zu haben. Sein Vorschlag, im Kampf geschwächte Internationale Brigaden mit Spaniern und Angehörigen der rückwärtigen Dienste aufzufüllen und Spanisch als einheitliche Kommandosprache einzuführen (S. 86 f.), wurde nicht akzeptiert. Marty fand, die Inbrigaden müßten im republikanischen Lager dieselbe Rolle spielen wie auf Francos Seite die Fremdenlegion. (S. 89) In den meisten Fällen hat Kleber wohl Recht gehabt. Die sowjetischen Berater schickten ihn nach Moskau zurück.

    Rund ein Jahr noch war Stern unter Komintern-Spitzenfunktionär Otto Kuusinen tätig. Dann wurde er verhaftet. Bei NKWD-Verhören "gestand" er alles, was ihm abverlangt wurde. Beispielsweise, 1923 auf Weisung der "Brandleristen" und zugleich des "trotzkistischen Zentrums" Thälmanns Kurs auf den bewaffneten Aufstand sabotiert zu haben. 1936/37 in Spanien habe er als "Spion im Dienste Deutschlands" und Angehöriger einer antisowjetischen Organisation im Kominternapparat, bisweilen in Tateinheit mit dem "äußerst feindlichen Brandleristen Albert Schreiner (Baumann)", unter dem vormaligen Chef des sowjetischen Militärgeheimdienstes Jan Bersin und mittels "trotzkistischer Ideologie" der Volksfront und der Verteidigungskraft der Spanischen Republik geschadet. (S. 112 ff.) Soweit in diesem Netz der Anklagen und Selbstbezichtigungen Tatsachen Berücksichtigung fanden, wurden sie inhaltlich in ihr Gegenteil verkehrt. Das Amalgam war genauso wahnwitzig und ungeheuerlich wie die "Geständnisse" während der großen Moskauer Schauprozesse. Es wurde nach Ermittlungsabschluß von Stern bestritten, sein Zustandekommen auf "moralischen Druck der Untersuchungsgremien" zurückgeführt. (S. 123) Ungerührt verurteilte ihn das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR gleichwohl im Mai 1939 zu 15 Jahren Freiheitsentzug, den er im Gulag des Kolyma-Beckens zubringen mußte. Das dortige Militärtribunal der NKWD-Truppen beim Staatstrust für Straßen- und Industriebau Fernost (Dalstroj) legte im November 1945 zehn Jahre Arbeitsbesserungslager drauf, da er und acht Mitgefangene weiter "antisowjetische Auffassungen" vertreten und u. a. behauptet hätten, "daß die KPdSU/B/ angeblich entartet und von marxistisch-leninistischen Positionen abgerückt sei". (S. 131) Die unmenschlichen Haftbedingungen wurden durch Überweisung in ein "Sonderlager" noch verschärft,  bis Mediziner den schwer kranken, ausgezehrten Mann für weitere Dalstroj-Einsätze untauglich erklärten und er vom hohen Norden nach Sibirien gebracht wurde. Er starb 1954 im dortigen Gulag. Seine Gesuche von 1941 und 1944, ihn als Soldaten am Krieg gegen Hitler teilnehmen zu lassen, waren ebenso ignoriert worden wie die flehentliche Bitte von 1952 an den "großen Steuermann der Partei und des Staates" J. W. Stalin, ihm "wohlwollende Aufmerksamkeit und väterliche Nachsicht zu schenken". (S. 148)  
 
    Erst nach Chruschtschows Abrechnung mit dem Diktator beim XX. Parteitag der KPdSU wurde Stern im August 1956 juristisch rehabilitiert, im Februar 1967 wieder in die Partei aufgenommen. Die Geschichtsschreibung hat ihn jahrzehntelang totgeschwiegen. 1989 bzw. 1995 kamen in Frankfurt/Main bzw. Tel Aviv zwei größere biographische Darstellungen über ihn heraus, ein entsprechendes Kapitel in Arno Lustigers "Shalom Libertad! Juden im spanischen Bürgerkrieg" und das Buch "General Manfred Stern alias Emilio Kleber" seiner Nichte Sidi Groß. Vieles aus seinem Leben wird jedoch erst durch die Arbeit Brun-Zechowojs dokumentiert.

    Die Biographie des kommunistischen Kämpfers Stern, der nie von der vorgegebenen Linie abgewichen war und dennoch von Stalins Schergen grausam verfolgt wurde, ist gleichermaßen lehrreich und todtraurig. Falsche Namen und Druckfehler, die gehäuft im Geleitwort Hans Landauers zutage treten, wären vermeidbar gewesen.

© Manfred Behrend


Quelle: Arbeiterstimme, Nürnberg , 01/2001


Walerij Brun-Zechowoj: Manfred Stern - General Kleber. Die tragische Biographie eines Berufsrevolutionärs (1896-1954). trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin 2000, ISBN 3-89626-175-4. 177 S., 35 DM









 

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